Ich erstarrte vor Schreck. Warum muss
man denn immer in solchen Situationen in Schockstarre verfallen? So
etwas unnötiges. Als ich mich endlich gefangen hatte, rannte ich ins
Haus. Ich war so in Angst und Sorge, dass ich an nichts anderes
denken konnte. Ich stieß die Tür auf, und rannte die Treppe hinauf,
wo die Schreie her kamen. Ich erreichte die Schlafzimmertür zitternd
und stürmte hinein. Es war grausam.
Ich sah meine Mutter blutend auf den
Boden. Herr Müller mit einer Brechstange oder etwas ähnlichen über
ihr. Ich rannte zu ihr und versuchte ihn aufzuhalten. Er drehte sich
nur um und schlug mich mit der Stange. Der Schmerz war mir in diesen
Moment egal, ich stand viel zu viel unter Schock und das Adrenalin
trieb mich zu Höchstleistungen an. Bevor ich einen weiteren Versuch
starten konnte, griff Noah ein. Er zerrte Herr Müller von meiner
Mutter runter und prompt bekam er auch einen drüber. Er taumelte
kurz, aber schlug zurück um mir Zeit zu verschaffen. Ich ging zu
meiner Mutter. Sie blutete schlimm und hatte übel aussehende
Prellungen. Ich versuchte sie hoch zuziehen, aber sie war schwerer
als sie aussah. Alleine würde ich es nicht schaffen. Zum Glück fiel
mir in diesen Moment ein, dass mein Handy auf ihrer Kommode lag. Ich
schnappte es und rief die Polizei an.
Ich wollte gerade die Situation
schildern, als Herr Müller es mir aus Hand riss und wegschmiss. Ich
hoffte, dass die Polizei genug Informationen hatte um uns zu helfen.
Noah stürzte sich auf ihn und Herr Müller ließ seine Stange
fallen. Ich sah meine Chance.
Ich nahm vorsichtig, um ihn nicht auf
mich aufmerksam zu machen die Stange. Ich holte weit aus und schlug
ihm hart auf den Hinterkopf. Ich hatte Angst das würde nicht reichen
und schlug noch einmal richtig hart zu. Er taumelte und fiel um. Er
war bewusstlos.
Ich erstarrte kurz, nicht realisierend
was ich gerade getan hatte. Noah schüttelte mich und redete auf
mich, aber ich war wie in Trance und schaute auf meine Mathelehrer
herunter. Dann auf einmal war ich wieder da, aber mir tat die Wange
fürchterlich weh und ich hielt sie mir.
“Tut mir leid, ich wusste nicht was
ich machen soll“, erklärte Noah. Ich war wieder bei mir und wir
nahmen gemeinsam meine Mutter und trugen sie die Treppe herunter.
„Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen.“, meinte Noah. Ich
schnappte mir die Autoschlüssel und wir gingen zum Auto meiner
Mutter. Noah legte sie auf den Rücksitz und ich stieg neben ihr ein.
Da hörten wir es die Treppe herunterpoltern. Herr Müller.
Noah stieg so schnell, wie möglich ein
und startete den Motor. Natürlich hatte er genauso wenig, wie ich
einen Führerschein, aber in diesen Moment spielten solche
Nichtigkeiten keine Rolle. Ich hoffte bloß, dass sich seine
Fahrfähigkeiten nicht auf Need for Speed beschränkten. Herr Müller
stürmte aus den Haus und ging geradewegs auf das Auto zu.“ Noah,
verdammt nochmal, gib doch endlich Gas!“ Herr Müller schlug meine
Scheibe ein und zog an meinen Haaren. Noah fuhr endlich los und Teile
meiner Haare wurden ausgerissen. Noah war zwar nicht der beste
Fahrer, aber ich war zuversichtlich, dass wir zumindest unser Ziel
erreichen würde. Meine Mutter war weiterhin bewusstlos. Ich
versuchte während der ganzen Zeit sie munter zu bekommen, aber es
war zwecklos. Als wir das Krankenhaus erreichten, nahmen wir meine
Mutter und rannten schnell in die Notaufnahme.
“Hilfe! Helft mir bitte schnell,
meine Mutter ist bewusstlos und..“ Dann versagte meine Stimme. Eine
Krankenschwester kam an und nahm sie mir ab. Sie sagte, dass sie
alles versuchen würden. Noah und ich setzten uns auf die Stühle und
warteten einfach. Langsam setzte bei mir auch der Schmerz ein und ich
merkte, dass ich an der Schläfe blutete und an der Stelle, wo meine
Haare fehlten. Auch Noah sah übel zugerichtet aus. Seine Lippe war
aufgeplatzt und seine Nase sah gebrochen aus. Außerdem war er
überall mit Prellungen übersät.
Mein Gesundheitszustand war mir in
diesen Moment, aber total egal. Ich dachte nur noch an meine Mutter
und was nun passieren soll. Ich stand total unter Schock und saß
stocksteif da, fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Noah sah
ähnlich aus. Die Zeit bis eine Schwester wieder kam, kam mir ewig.
Sie sagte irgendetwas zu mir, aber ich weiß nicht mehr was. Noah zog
mich hoch, da ich mich einfach nicht rührte. Anscheinend wollte die
Krankenschwester meine Wunden versorgen und ich ließ mich mitziehen.
Als wir in dem sterilen Raum ankamen,
nahmen Noah und ich Platz. Ich ließ ihn, aber nicht los, da ich
einfach irgendeinen Halt brauchte. Sie versorgte Noah's und meine
Wunden und redete wahrscheinlich auch mit mir, aber das war mir egal.
Ich hatte immer wieder dieses Bild von meiner Mutter blutend auf den
Boden vor meinen Augen.
Wir fuhren zu Noah nach Hause, da meine
Mutter immer noch bewusstlos war und wir nichts tun konnten. Er legte
mich in sein Bett und er nahm in den Sessel daneben Platz. Ich konnte
nicht einschlafen, mir schwirrte viel zu viel durch den Kopf.
Schließlich übermannte mich die Müdigkeit doch und ich schlief
ein.
Wir fuhren am nächsten Tag ins
Krankenhaus und ich rannte förmlich in das Zimmer meiner Mutter. Was
mich dort erwartete, überraschte und schockierte mich. Ich sah Herrn
Müller über meine Mutter gebeugt mit einen Messer in der Hand. Er
schnitt meiner Mutter Kehle auf und ich schrie.
Ich schrie und wachte schweißgebadet
in dem Bett auf. Noah wurde sofort wach. Er kam zu mir in sein Bett
und tröstete mich. „Es wird alles gut, er wird dir und deiner
Mutter nie wieder etwas antun. Alles wird gut.“
Ich hatte während der ganzen Zeit
nicht eine Träne vergossen, aber nun kam alles heraus. Ich weinte an
Noah's Schulter wahrscheinlich Stunden lang, bis ich mich wenigstens
wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Er hielt mich die ganze
Zeit nur fest und sagte mir, dass alles wieder gut werden würde.
Warum sagt jeder immer, dass alles
wieder gut wird? Woher soll man das denn vorher wissen? Niemand kann
wissen, was passiert und einen anzulügen macht es nicht besser. In
diesem Moment half es mir aber, da ich dadurch nicht die Hoffnung auf
ein Happy End verlor. Ich glaube ohne Noah, wäre ich total
untergegangen.
Als ich mich wieder einigermaßen
beruhigt hatte, sagte er halb lachend: “Skye, hast du eine Ahnung
wie beschissen du aussiehst?“ Ich musste lächeln und schmiss ein
Kissen nach ihm. Er fing es locker und für einen Moment fühlte ich
mich besser, als ich anscheinend aussah.
“Du schleppst dich jetzt unter die
Dusche, bevor du mein ganzes Zuhause einsaust und meine Eltern von
ihren Wochenendtrip zurück sind. Ich mach in der Zeit Frühstück.“,
meinte Noah. Ich schleppte mich von seinen Bett in das Badezimmer.
Dort stieg ich unter die Dusche. Das Wasser war zwar viel zu heiß,
aber es war mir einfach schlicht weg scheißegal.
Ich konnte so allein, erst alles so
richtig realisieren und mir flossen wieder Tränen. Das Wasser wusch
sie sofort weg und ich fühlte mich besser. Durch das Wasser hatte
ich das Gefühl diesen schrecklichen Abend wegwaschen zu können mit
all seinen Schrecken und Grauen. Als ich aus der Dusche stieg, fühlte
ich mich zwar besser, aber ich war mir auch mehr denn je, der
Situation bewusst.
Ich schlenderte runter in die Küche
aus der schon ein herrlicher Geruch kam. Ich setzte mich an den
Tisch, aß aber nichts.“ Skye, du musst etwas essen. Bevor du nichts
gegessen hast, fahr ich dich nicht ins Krankenhaus.“ Ich nahm ein
Brötchen und biss hinein. Wir aßen schweigend, denn keiner fand die
richtigen Worte über das Geschehene zu reden und für etwas anderes
war zurzeit kein Platz in meinen Kopf. Ich ging nach dem Essen sofort
auf die Toilette und brach alles wieder heraus, was ich gegessen
hatte. Ich konnte nichts drin behalten. Noah wartete schon an der
Haustür auf mich und lief wahrscheinlich wie ein Zombie an ihm
vorbei und stieg in das Auto ein.
Als wir nun endlich das Krankenhaus
erreichten, zitterten meine Knie und ich konnte kaum stehen. Eine
Schwester gab uns Auskunft, wo meine Mutter lag, aber sagte uns, dass
wir erst mit dem Arzt reden müssten. Sie holte den Arzt.
Doktor Magnussen erklärte mir:“ Ihrer
Mutter geht es soweit gut, aber sie hat eine Amnesie. Durch die
Schläge auf ihren Kopf, weiß sie nichts von dem Zeitpunkt an, an
dem Herr Müller anfing sie zu schlagen.“ Ich konnte es nicht
glauben. Wie sollte man ihn denn jetzt einbuchten, wenn das Opfer
keine Erinnerung hatte. Andererseits war ich froh, dass sie sich an
nichts erinnern musste. Ich wäre auch froh alles vergessen zu könne.
Der Arzt erklärte außerdem, dass die Polizei da war nachdem sie
Herrn Müller im Haus vorgefunden hatten. Die Polizei, wollte noch
ihre Zeugenaussagen aufnehmen. Das heißt sie könnten nicht lange im
Krankenhaus bleiben, da die Polizei die Zeugenaussagen so schnell wie
möglich haben wollte.“Es liegt bei ihnen, ob sie ihrer Mutter, die
Geschehnisse erzählen wollen, da sie die einzige Angehörige sind.“
sagte er noch, bevor er mich in ihr Zimmer ließ.
Noah wartete draußen. Ich ging allein
hinein und meine Mutter sah mich etwas verwirrt, aber nicht traurig
an.
“Skye Schätzchen, was ist denn hier
los? Warum bin ich im Krankenhaus?“, fragte sie.
„Mama, du bist..“ ich stockte kurz
unschlüssig, ob ich ihr die Wahrheit sagen sollte,:“ Du bist die
Treppe heruntergefallen als ich in der Schule war. Du warst
bewusstlos.“
„Wo ist denn Paul? Wollte er mich
nicht besuchen?“ fragte sie weiter, verwirrt.
„Er hat sich gestern von dir
getrennt, und du kannst dich nicht daran erinnern, da du eine
Kurzzeit Amnesie hast.“
„Amnesie sagst du? Deswegen kann ich
mich an nichts erinnern.“
Ich versuchte mir nicht anmerken zu
lassen, dass ich total zitterte und sie von vorn bis hinten belog.
Sie musste nicht wissen, was passiert ist. Manchmal ist es besser
vergessen zu können. Ich wollte sie nicht belasten. Vielleicht würde
sie mir auch gar nicht glauben. Ich fand zu der Zeit, war es die
beste Entscheidung ihr nichts zu erzählen.
Der Arzt steckte den Kopf herein und
teilte mir mit, dass die Besuchszeit leider vorbei war. Ich gab
meiner Mutter zum Abschied einen Kuss und sagte ihr, dass alles
wieder gut werde. So eine dumme Aussage.
Noah und ich fuhren auf die
Polizeiwache. Der Polizist schrieb unsere Aussagen auf ein Protokoll
und meinte, dass es reichen müsste um Herrn Müller ein paar Jahre
in den Knast zu schicken. Ich war erleichtert. Er fragte, wie es
meiner Mutter ging und ich erzählte ihm von der Amnesie. „Das tut
mir leid, haben sie ihr die Wahrheit gesagt?“, fragte er darauf.
„Nein, sie sollte froh sein es
vergessen zu können.“
„Vielleicht ist es besser so, aber
ich würde dir raten einen Psychologen aufzusuchen.“
Ich verabschiedete mich schnell, da ich
nichts wirklich von diesen Seeelenklempnern hielt.
Noah setzte mich zuhause ab.
Ich ging, aber nicht in das Haus
hinein, da ich einfach nicht konnte. Ich war feige. Ich hatte Angst
vor meiner Reaktion. Ich ging zu dem See.
Ich saß auf dem Steg und überlegt,
wie es weiter gehen sollte. Ich wusste nur, dass es irgendwie
weitergehen musste. Meine Mutter hatte keinen Job mehr und erinnerte
sich nicht an die Ereignisse. Ich hingegen erinnerte mich wohl daran
und ich glaube ich werde mich immer daran erinnern. Ich wusste nicht,
wie ich jemals weiterleben sollte mit diesen Bildern im Kopf.
Der See sah heute so still und
friedlich aus. Die Vögel zwitscherten und ein paar Grillen zirpten.
Idyllisch eigentlich. Nur meine Gefühle passten nicht dazu. Ich sah
auf das Wasser hinab. Wie friedlich und einfach es wäre mich einfach
hinein sinken zu lassen und nie mehr aufzutauchen. Ich spielte mit
dem Gedanken.
Ich ließ mich hinein fallen und wollte
nichts mehr. Rein gar nichts mehr vom Leben. Das Leben ist beschissen
und macht nur Probleme. Ich war im Wasser und erinnerte mich an das
Gespräch zwischen Noah und mir an jenen Morgen, als Herr Müller das
erste mal bei meiner Mutter war. „Für einige ist der Sinn des
Lebens, alles mitzunehmen und auch überall anzuecken. “, rief ich
mir seine Worte ins Gedächtnis.
Ist es nicht das, was ich mir gewünscht
hatte?
Ein Leben voller Fehler, aber einfach
Leben?
Kann ich meine Mutter einfach alleine
lassen?
Wird es denn nicht vielleicht wirklich
wieder besser?
Es wäre einfach alles hinter sich zu
lassen, aber will ich das auch?
Warum denn den einfachen Weg nehmen,
wenn man auch leben kann so wie man es will?
Ich beschloss mich dem Leben zu stellen
und tauchte wieder auf. Es waren vielleicht nicht einmal 2 Minuten,
die ich unter Wasser war, aber in diesen 2 Minuten ist mir mehr klar
geworden, als in den letzten 2 Tagen. Ich kann nicht aufgeben und
werde es auch nicht....